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Ich kann nicht aufhören, diese Programme zu bewundern

Rymma Fil vom "Freiwilligendienste - Integriert in Sachsen-Anhalt" im Interview mit Diana Sharmankina

 

Foto von Marcus-Andreas Mohr

 

Rymma, du bist 2017 zum ersten Mal nach Magdeburg gekommen. Erzählst du uns mehr über deine ersten Schritte in Deutschland, wie alles begann.

 

Ich bin ein sehr aktiver Mensch, auch gesellschaftlich aktiv und hatte die größte Sorge, dass ich durch den Umzug in ein anderes Land nur wenige Kontakte haben würde. Der Umzug nach Magdeburg war eine bewusste Entscheidung, denn mein Mann und ich hatten hier studierende Kinder. Und wir selbst waren schon mehr als einmal hier gewesen. 

 

Der erste Schritt zur Anpassung war das Erlernen der deutschen Sprache. Während unseres Aufenthalts an der Volkshochschule besuchten uns Vertreterinnen der Freiwilligenagentur und informierten uns über die damals angebotenen Freiwilligenprogramme. Das hat bei mir sofort großes Interesse geweckt, da ich während des Krieges noch in der Zentrale der Kriegshilfe in Donezk gearbeitet habe. Im Allgemeinen standen wir immer an der Spitze der Freiwilligenbewegung in Donezk. Deshalb waren all diese Programme für mich sehr interessant. Die Leute von der Freiwiligenagentur erwiesen sich als sehr nett und freundlich, besonders gegenüber Ausländern. 

 

Schließlich beschlossen mein Mann und ich, uns daran zu beteiligen. Zur gleichen Zeit begann ich, an dem Projekt "Es war ZWEImal" in Kindergärten teilzunehmen, und es gefiel mir sehr gut. Dort habe ich meine ersten Schritte gemacht, was das Sprechen der deutschen Sprache angeht. 

 

Meine Sprache und Redegewandtheit als Journalistin waren schon immer meine Stärken. In meiner Muttersprache kann ich das perfekt und kann die Aufmerksamkeit des Publikums halten. Aber hier (in Deutschland), wenn ich merke, dass ich mit Akzent und Fehlern spreche, ist das für mich eine Tragödie (Rymma lacht). Es war also ein guter Schritt nach vorn. Vor allem die Kinder im Kindergarten waren anfangs sehr überrascht, als sie auf mich zukamen und fragten: "Ach, du bist schon Erwachsene! Warum sprichst du Deutsch nicht?"

 

Nachdem ich das C1-Niveau in Deutsch erreicht hatte, fing ich bereits an zu arbeiten. Mein Traum war bei Frewilligenagentur arbeiten. Birgit von der Freiwilligenagentur bot mir eine Stelle in ihrer Organisation  als BFD an. Ich habe wunderschöne eineinhalb Jahre bei FWA mit suoerTeam gearbeitet.  

 

Wie hast du AGSA kennengelernt? Welche Rolle hattest du als Bundesfreiwillige?

 

Im Allgemeinen arbeiten die Freiwilligenagentur und AGSA sehr eng zusammen. Eine meiner Aufgaben bei der Freiwilligenagentur war es, Artikel über verschiedene Institutionen zu schreiben, wie z.B. AGSA. Ich war sehr beeindruckt von der Tatsache, dass AGSA eine Gemeinschaft ist, die Menschen bei der Integration hilft. Und da ich selbst diesen Weg der Freiwilligenarbeit beschritten hatte, wollte ich unbedingt meine Erfahrungen weitergeben und diese Möglichkeit bekannt machen. Als ich also das Angebot für dieses Projekt bei AGSA sah, wusste ich sofort, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten wollte. Freiwilligenprogramme wie BFD sind vielen Deutschen gar nicht bekannt, und Ausländern noch weniger, vor allem nicht den Erwachsenen. Auch die Programme des Sozialen und Ökologischen Jahres sind bei den Studierenden beliebt. In Russland und in der Ukraine gibt es jedoch im Prinzip kein Freiwilligenjahr. Selbst auf staatlicher Ebene gibt es solche Programme nicht.

 

Ich kann nicht aufhören, diese Programme zu bewundern. Es ist eine Gelegenheit, nicht nur die Sprache zu beherrschen, sondern sich auch als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu fühlen. In einem Sprachkurs spricht man höchstens 4 Stunden pro Tag über bestimmte Themen, und dann entsteht ein Vakuum, denn nach dem Kurs kehrt man in sein normales Leben und seine Muttersprache zurück. Darüber hinaus beschränken die Menschen ihren sozialen Kreis oft auf Personen aus derselben Sprachgruppe, was die Anpassung auf ein Minimum reduziert. Das kann es schwierig machen, in einem neuen Land Freunde zu finden.

 

Mein Mann hat übrigens auch BFD gemacht. Er mag Autos und alte Menschen, deshalb hat er sich für den Fahrdienst in Pflegeheim entschieden. 

 

Jetzt geht es in meinem Projekt bei AGSA um Koordination, Beratung und Betreuung. Ich sage den Leuten, wo sie sich beweisen können, ich koordiniere und helfe ihnen, eine Einsatzstelle zu finden. Die Leute lassen sich beraten, füllen ein Formular aus und dann kann ich sie je nach ihren Interessen oder ihrem Temperament beraten, in welcher Richtung sie ein Projekt suchen sollten oder welche Organisation für sie am besten geeignet ist. 

 

Der Freiwilligendienst ist sowohl für Deutsche als auch für Ausländer, aber auch für Menschen ab 27 Jahren möglich. Es ist mehr als realistisch, im Alter von 50 Jahren Freiwilliger zu werden oder sich vollständig umschulen zu lassen. Außerdem ist es ein Schritt von unserer sowjetischen Mentalität in die moderne Realität.

 

Vor allem, wenn man in ein neues Land gezogen ist und keine Wurzeln hat. Man kann lange sitzen und jammern, oder man kann etwas Sinnvolles tun und ganz von vorne anfangen. Und in mancher Hinsicht können Sie sich Ihre lang gehegten Träume erfüllen. Auch für Flüchtlinge aus der Ukraine kann dies eine gute Gelegenheit sein, sich besser an ein neues Land anzupassen (nachdem sie die Sprache ein wenig beherrschen). Die Menschen aus dem postsowjetischen Raum sind in der Tat sehr aktiv, was die Freiwilligenarbeit angeht, und sie haben einen großen Ehrgeiz, etwas zu erreichen.

 

Wie haben sich deine Aufgaben in den letzten Monaten geändert? Welche Herausforderungen hast du dich gestellt? 

 

Ich habe gerade meinen Vertrag bei AGSA zum 1. März begonnen. Nach dem Beginn des Krieges (24. Februar 2022) gingen bei der Hotline viele Anrufe ein. Zunächst von den Deutschen selbst. Und ich hatte natürlich, wie viele Ausländer, Angst vor dem Telefonieren. Alle Leute sprachen mit unterschiedlicher Aussprache und Geschwindigkeit und stellten viele Fragen. Und es war eine echte Herausforderung! Ich möchte jedoch sagen, dass mein Selbstwertgefühl während der Anrufe nicht gelitten hat, denn keiner der Anrufer hat auch nur einmal gesagt: "Ich habe Sie akkustisch leider nicht verstanden". Es war jedoch sehr schwierig, sie fehlerfrei auszusprechen, wenn man nicht weiß, welchen Fall oder welche Präposition man in einer bestimmten Situation verwenden soll. 

 

Aber noch bevor die ersten Flüchtlinge aus Berlin, 300 Menschen, die Daniel Adler, Projektleiter  Koordinierungsstelle Engagement Ukraine ST Nord , mitgebracht hatte, eintrafen, riefen uns Deutsche an und boten ihre Hilfe an. Es war zu Tränen rührend. Die Menschen versuchten auf unterschiedlichste Weise zu helfen: Einige boten ein Zimmer zum Schlafen an, andere boten Hilfe beim Transport der Menschen an (z. B. beim Abholen von der polnischen Grenze). Es war sehr emotional and es war eine sehr motivierende Bewegung. 

 

Hast du es erwartet, dass deine Kenntnisse von dem Ukrainischen und Russischen Sprachen in Zukunft gefragt werden? 

 

Meine ausgezeichneten Kenntnisse der russischen und ukrainischen Sprache waren bisher nicht gefragt gewesen. Arabisch, ja, aber nicht die slawischen Sprachen. 

 

Was sind die wichtigsten Möglichkeiten, Flüchtlingen jetzt zu helfen?

 

Heutzutage sind die Anfragen von Flüchtlingen bereits mehr eine Beratung als eine dringende Hilfe. Das heißt, sie haben sich ein wenig eingelebt und interessieren sich nun für weitere Fragen der Anpassung und des Lebens in Deutschland, einschließlich des Alltags (z. B. Schule, Kindergarten, Arbeit, Integrationskurse usw.). Der BFD wäre ein guter Schritt, nicht nur um die Sprache zu verbessern, sondern auch um etwas Geld zu verdienen und eine Chance, sich zu beweisen und aufzuholen. 

 

Gleichzeitig halte ich es für sehr wichtig, den Flüchtlingen die Unterschiede und die Mentalität in Deutschland zu vermitteln, denn wir haben einen völlig anderen kulturellen Code und Lebensrhythmus. Selbst die einfachsten und offensichtlichsten Dinge können überraschend und schwer zu verstehen sein. So gibt es zum Beispiel keine Ruhezeiten, und man wird sich wundern, wenn man von einem Verbot des Staubsaugens an Sonntagen zwischen 13 und 15 Uhr hört. Oder dass wir unsere Nachbarn im Treppenhaus grüßen und der Kassiererin an der Kasse einen guten Tag wünschen sollten, anstatt schweigend hinauszugehen. Für unser Volk (Russen und Ukrainer) ist dies ein Novum.