Francesca Caporali im Gespräch mit Catrin Gutowsky
Magdeburg in den 90ern in zwei Worten: viel Veränderung. Mittendrin arbeitet Catrin Gutowsky im Wirtschaftsressort. Das ist für Entwicklungszusam-menarbeit in Sachsen-Anhalt zuständig. Als dann klar wurde, dass es in Magdeburg mehr davon braucht, entsteht das einewelt haus. Catrin Gutowsky war von 1997 bis 2003 für die Schellingstraße 3-4 der Kontakt zum Land. Eine Perspektive auf Entwicklungszusammenarbeit heute und vor 25 Jahren.
Von Francesca Caporali
Frau Gutowsky, damals wurde entschieden, dass es in Magdeburg ein Haus der Entwicklungszusammenarbeit in Sachsen-Anhalt braucht. Wie kam es dazu?
Wir müssen bis ins Jahr 1994 zurückgehen: Da gab es in Magdeburg die sogenannten “Himmelfahrtskrawalle”, bei denen schwarzafrikanische Menschen von rechtsextremen Jugendlichen stundenlang durch die Innenstadt getrieben wurden. Das war für mich persönlich der Höhepunkt dessen, was ich hier in Magdeburg je erlebt habe. Darüber hinaus hatte die Ministerpräsidentenkonferenz am 1. Dezember 1994 in Dessau in ihren dort gefassten Beschlüssen die Bereitschaft der Länder erklärt, ihren Beitrag zur Lösung aktueller Probleme des Nord-Süd-Verhältnisses zu leisten und das Engagement von Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) in der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Dies alles führte letztendlich in der Landespolitik zu der Überlegung, dass wir bei der heimischen Bevölkerung das Bewusstsein und das Verständnis für die Zusammenhänge in der einen Welt vertiefen müssen. Die Vereine, die sich für Migration, Integration und Entwicklungs- sowie internationale Zusammenarbeit engagierten und immer ehrenamtlich unterwegs waren, brauchten einen konkreten Ort und feste Räume, um ihre Arbeit besser organisieren zu können. Der Landtag von Sachsen-Anhalt fasste daher im Juni 1995 einen Beschluss: Er beauftragte die Landesregierung, diesen Vereinen eine Landesliegenschaft zur Verfügung zu stellen, in denen sie Büro-, aber auch Veranstaltungsräume nutzen können.
1993 wurde das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten aufgelöst, das bis zu diesem Zeitpunkt für Entwicklungszusammenarbeit für Sachsen-Anhalt zuständig war. Seitdem wurde die Zuständigkeit für Entwicklungszusammenarbeit, europäische Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit als Querschnittsaufgabe auf das Wirtschaftsressort übertragen. Wir waren damit beauftragt, dieses Haus zu finden und für die Vereine zur Verfügung zu stellen. Das große, alte, staatliche Gebäude in der Schellingstraße stand zu diesem Zeitpunkt leer. Deshalb haben wir beschlossen, es zum Sitz der Vereine zu machen. Das war der Ausgangspunkt.
Wie finanziert sich das?
Das Geld kommt zum einen aus dem Landeshaushalt. Ein Teil davon ist für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen, zu denen auch die inhaltliche Arbeit des einewelt hauses gehörte. In Abhängigkeit von der jeweiligen Haushaltssituation des Landes unterlag dieser „Topf“ auch gewissen Schwankungen. Im Laufe der Zeit änderten sich auch die inhaltlichen Prioritäten und Schwerpunkte der zu fördern-den Projekte. Man muss hinsichtlich der Finanzierung auch kreativ sein immer schauen, ob es z.B. Bundes- oder europäische Mittel gibt, die man miteinander verbinden kann, um die Effekte insgesamt zu verstärken. Heute kommt der Großteil der Projektmittel für die Entwicklungszusammenarbeit aus dem Bundeshaushalt. Bei der Finanzierung von Projekten gibt es eine sehr enge Interaktion zwischen dem Land und dem Bund.
Was war das damals aus politischer Sicht für eine Zeit in Magdeburg? Was waren die Themen in der Entwicklungszusammenarbeit? Inwiefern lassen sich Vergleiche zur heutigen Zeit ziehen?
Das ist eine sehr komplexe Fragestellung! Lassen Sie uns erstmal zurück in das Jahr 1997 gehen, als ich in den Bereich gewechselt bin. Mit der Auslandsgesellschaft als Trägerorganisation und den ersten angesiedelten Vereinen hat alles ange-fangen. Alle unter einem Dach, unter dem Dach der Internationalisierung. Da gab es zum einen die Vorfeldorganisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (CDG und DSE) und die ersten Freundschaftsgesellschaften (z.B. die deutsch-bulgarische Gesellschaft war im ewh als einer der ersten Vereine ansässig). Das Land selbst hatte sich die Zusammenarbeit mit Bulgarien auf die Fahnen geschrieben. So war Plovdiv unsere erste Partnerregion im Ausland.
Was wir damals noch nicht hatten war beispielsweise eine Internationalisierungs- und Europastrategie für das Land, so wie wir dies bereits seit einigen Jahren haben und auch mit jeder neuen Legislaturperiode fortschreiben. Heute setzt sich jedes Landesressort konkrete Ziele für die Zusammenarbeit in bestimmten Regionen der Welt. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Formen der Partnerschaftsbeziehungen.
Wir brauchten damals zunächst erst einmal eine echte Willkommenskultur. Migration muss immer auch gelebt und von den Menschen im Land unterstützt werden. Auch als Land und als Landesregierung musste man politisch Farbe bekennen: “Sind wir offen für Migration oder sind wir es eher nicht?” “Was hat das für Auswirkungen für das gesellschaftliche Zusammen-leben, für die Wirtschaft (z.B. die Ansiedlung ausländischer Investoren) Welches Bild von Sachsen-Anhalt gibt es außerhalb von Deutschland, etc.?” Die Antworten auf diese Fragen mussten in politische Strategien münden.
Was außerdem anders war, war das grundsätzliche Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit. Damals teilte man z.B. die Welt noch in industrialisierte, entwickelte Länder des Nordens und Entwicklungs- und Schwellenländer des Südens (bzw. Drittweltländer) ein. Heute haben wir mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, die 2015 von den vereinten Nationen verabschiedet wurden (auch Agenda 2030 genannt) ein ganz anderes Grundverständnis für die Globalisierung, für die eine Welt: Alle auf der Welt sind gesamtverantwortlich. Es geht nur miteinander. Auch die Corona Pandemie macht dies jetzt gerade ganz deutlich.
Gerhard Miesterfeldt, Vorsitzender der AGSA, hat gesagt: “Es gibt sicher Stellen, wo wir heute noch nicht viel weiter gekommen sind, als 1995. Die Aufgaben des einewelt hauses werden noch lange sehr gleich bleiben, wie bisher.” Wie kommentieren Sie diese Betrachtung?
Er hat wahrscheinlich schon Recht und auch Unrecht. Da bin ich ein bisschen ambivalent. Sicherlich gibt es Themen, die heute noch genauso aktuell sind, und leider gibt es in Sachsen-Anhalt immer noch Anschauungen und Bewegungen, bei denen wir alle gehofft hatten, dass wir hier schon weiter sind. Und es bleibt in den kommenden Jahren noch eine Menge zu tun. Schauen wir zum Beispiel auf die Entwicklung der AfD in Sachsen-Anhalt und das nach wie vor bestehende Problem mit rechten Positionen oder die Haltung bestimmter Teile der Bevölkerung zu Zuwanderung.
Gleichwohl bin ich durchaus der Auffassung, dass sich seit 1995 wesentliche Veränderungen vollzogen haben. Die Stabilität der Arbeitsbedingungen für die Vereine im Lande ist mit dem ewh gegeben. Außerdem sind inzwischen eine Vielzahl von Instrumenten und Programmen neu entstanden, die auch ihre Wirkung im Rahmen von Bildungsangeboten und Projekten im ganzen Land zeigen. Auch die Strukturen der Vereine und deren Sichtbarkeit ist heute eine völlig andere als noch im Jahr 1995. Damals hatten wir gerade im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit noch sehr fragile Strukturen.
Läuft die Unterstützung von Orten wie dem einewelt haus heute anders?
Ja, definitiv. Aufgrund des Wechsels der Zuständigkeit hat sich der Inhalt ein Stück weit geändert. Damals haben wir als Wirtschaftsministerium und als für die Entwicklungszusammenarbeit zuständiges Ressort sicherlich andere Schwerpunkte gesetzt, als es heute das Sozialministerium als das für Migrationsfragen zuständige Ministerium tut.