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Monika Lukić im Gespräch mit Sonja Renner

Mitstimmen

Sonja Renner wohnt schon seit über 20 Jahren in Magdeburg. Wählen darf sie nicht. Denn sie fühlt sich weiterhin eng mit Österreich verbunden – genauso wie mit Deutschland. Als NichtWählerin fordert sie von der Politik: Keine Zwangstrennung mehr von Herkunft und Wahlort! 

 

Foto: Giovanna Veronica Gahrns

Von Monika Lukic


Hallo Sonja, vielen Dank, dass du heute Zeit für das Interview hast. Du arbeitest bei der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen Anhalt (LKJ) im Projekt Resonanzboden, wo du im Bereich Integration und Migration tätig bist. Wie kommentierst du, dass du dich zwischen der österreichischen und deutschen Staatsangehörigkeit entscheiden musst? Welche Schwierigkeiten entstehen dabei für dich?

 

Gezwungen zu sein, einen Pass anzunehmen, ist natürlich nicht so schön. Die Zugehörigkeit zu einem Land, das ist auch eine emotionale Geschichte. Wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde, müsste ich die österreichische ablegen und das möchte ich nicht. Ich wähle immer noch dort und es ist mir wichtig, mich in Österreich am politischen System beteiligen zu können. Ich wünsche mir auch hier in Deutschland nicht nur kommunal sondern auch auf Landes- und Bundesebene mitgestalten zu können. Leider bin ich vor die Wahl gestellt, es geht nur entweder oder. Es klingt vielleicht komisch, aber mich verbindet auch die Staatsbürgerschaft mit meinem Geburtsland, so ist das einfach.

 

Hast du versucht, trotz fehlenden Wahlrechts, politisch Einfluss zu nehmen?

 

Was funktioniert, was für eine EU-Bürger:in relativ einfach ist, ist das kommunale Wahlrecht. Das mache ich schon, seit ich hier bin. Das ist aber nur das Minimum. Ansonsten ist es klar, dass man in seinem Arbeitskontext politisch aktiv sein kann, indem man mit Stadtrats- und Landtagsabgeordneten spricht.

 

Was würdest du als Problemlösung vorschlagen?

 

Es gibt schon seit langem den Vorschlag einer doppelten Staatsbürgerschaft und ich glaube, das ist völlig legitim. Es sollte auch ohne Ausnahme möglich sein. Als EU-Bürger:in findet man da noch ein paar Vorteile, aber als Migrant:in oder Geflüchtete:r aus einem Drittstaat ist es äußerst schwierig zu partizipieren. Andererseits ist man dem politischen System sehr wohl unterworfen. Man lebt in einer Gesellschaft, die politisch beeinflusst wird, aber als Teil dieser Gesellschaft darf man sie nicht mitgestalten. Man sollte mehr Vertrauen in die Menschen haben, die hierherkommen, hier arbeiten und hier eine Familie gründen. Sie schätzen das Land und die Leute, sonst würden sie in Deutschland nicht so lange bleiben.

 

Was glaubst du, welche Ängste werden mit einer doppelten Staatsbürgerschaft in Verbindung gebracht?

 

Ich schätze, es handelt sich um Angst vor einer Einflussnahme von außen, aber ich glaube, dass das nicht real ist. Wie schon gesagt: Die Menschen, die hier leben, möchten diese Gesellschaft politisch mitgestalten, nicht diese Gesellschaft einem „diktatorischen“ System unterwerfen. Viele Bürger:innen, die noch eine ausländische Staatsbürgerschaft haben, decken, wie ich glaube, tendenziell eher den mittleren bis linken Rand der Gesellschaft ab. Das heißt, dürften sie wählen, hätte man wieder eine Verschiebung der politischen Kraftverhältnisse. Aber vielleicht fürchten sich manche auch davor.

 

Wie unterscheidet sich das Wahlrecht in deiner Heimat?

 

In Österreich gibt es auf jeden Fall mehr Möglichkeiten der Mitbestimmung. Dort habe ich die direkte Demokratie bzw. die Volksabstimmung schätzen gelernt. Dadurch bekommen Menschen das Gefühl, etwas auf dem Punkt bewegen zu können. Im Gegensatz zur Bundestagswahl, wo man wirklich eine kleine Stimme ist. Dieses Medium der Volksabstimmung finde ich wichtig und würde das gerne mehr in Deutschland sehen.

 

Wie könnte das einewelt haus für mehr Mitentscheiden eine Rolle spielen?

 

Ich glaube, dass es schon eine wichtige Rolle spielt. Einerseits ist es ein Ort, an dem viele Nationalitäten zusammenkommen, zusammenarbeiten und Dinge umsetzen. Zweitens ist da die politische Einflussnahme, dadurch dass die Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt in sehr vielen Gremien sitzt. Auch wenn es „nur“ die Landesebene ist, bedeutet das sehr viel, wenn man sich zum Beispiel auf einer Integrationsministerkonferenz für die Zuwanderer:innen einsetzen kann. Und sie tun das schon z.B. mit Wahlprüfsteinen und Mitarbeit an Wahlprogrammen.

 

Zum Schluss möchte ich fragen: Wovon möchtest du zukünftig in Deutschland mehr sehen?

 

Ich wünsche mir, dass diese Trennung aufgehoben wird, die sich auf die Herkunft bezieht und dass es auch möglich ist, diesen Begriff „Integration“ zu überwinden. Denn irgendwann ist es nicht mehr Integration, weil dann sind wir einfach genau das, was wir sind, nämlich Menschen. Dazu würde auch beitragen, wenn alle Menschen, die sich entschieden haben, in Deutschland zu leben, auch die Möglichkeit hätten, Einfluss auf das politische System über Wahlen zu nehmen. Das wäre mein Wunsch, der möglichst bald umgesetzt werden sollte. Wovon möchte ich also mehr sehen? Mehr davon, dass wir als Gesellschaft ein Zusammenschluss freier und vor allem gleicher Individuen sind.